EIN REZEPT FÜR BERNHARD

von Malwina Glowacka

Es ist allgemein bekannt, was für ein Nörgler Thomas Bernhard war, und wie schwierig es war, ihn zufrieden zu stellen. Ein volles Vertrauen schenkte er einzig Claus Paymann, dem er carte blanche für die Aufführung seiner Texte gegeben hatte. Andere Regisseure behandelte er im Allgemeinen mit Misstrauen. Wenn Bernhard doch noch leben würde, könnte er im Zuschauerraum des Warschauer Teatr Rozmaitosci Platz nehmen und das szenische "Ich" in der dritten Person sehen, es würde ihm sicher gefallen. Der Regisseur Marek Kedzierski und Marek Kalita, der sein Konzept in die Tat umsetzte, fanden ein ausgezeichnetes Rezept für Bernhard.

Es beginnt hinterlistig, und bereits da fühlen wir dieses für den Autor von Kalkwerk so typische Atmosphäre. Kalita erscheint vor dem Publikum mit einer Handvoll Blätter, holt aus der Jackentasche ein Etui, holt daraus eine Brille, setzt sie auf, stellt sich vor ein Rednerpult, wirft einen Blick auf die Anwesenden und ein bisschen wie ein Schulmeister, ein bisschen wie ein schüchterner, zur Antwort aufgerufener Schüler beginnt er seinen Vortrag: "Wir waren zu dritt: Glenn Could, Wertheimer und ich... "

Am Anfang liest er einen Ausschnitt aus "Der Untergeher" von Bernhard. Der Redner berichtet, auf Distanz zu dem ihm in den Mund gelegten Text, über die von dem Protagonisten an einer Musikhochschule verbrachten Jahre. Die Sätze spricht er präzise aus, mit einer übertriebenen Diktion, jedes Wort unnatürlich artikulierend. Ab und zu trinkt er einen Schluck Wasser, um die ausgetrocknete Kehle zu befeuchten.

Aber bereits während des zweiten ausgesuchten Prosaausschnittes des österreichischen Autors bricht er aus der Konvention der Rede bzw. des Vortrags aus. Der Redner, der jetzt einen Ausschnitt aus "Alte Meister" behandelt, fängt an, sich in den Romanerzähler zu verwandeln, indem er fieberhaft über Heidegger spricht. Er verspottet ihn als Person, seine Philosophie und seine Lebensweise, stellt sarkastisch fest, dass die Kuh von Heidegger zur Neige gemolken wurde.

Während des dritten und letzten Ausschnittes, der aus "Wittgesteins Neffe" stammt, betrachten wir die Prosa von Bernhard wieder aus einer anderen Sicht. Der Schauspieler, jetzt seitlich an das Rednerpult gelehnt, hält in der Hand ein Papierbündel fest, liest aber nicht mehr. Mit großer Einfühlung und Anteilnahme bringt er den Zuschauern das Schicksal von Paul Wittgenstein- des Patienten einer Klinik für seelisch Kranke - nahe.

Wie soll man diese im Theater verbrachte Stunde nennen, etwas zwischen Vorlesen und einem Monodram, ein Zwischending zwischen Vortrag und Monolog? Und wie soll man den Helden von diesem

Theaterabend nennen, der jemand zwischen einem Redner, Erzähler und " einem manischen Monologführer" ist? Das Wesentliche liegt genau in diesem Dazwischen, in dem sich das ganze bernhardsche Werk befindet, das seine offene wie auch versteckte Autobiographie ist. Bernhard verwandelt sich unbemerkt in seine eigenen Figuren, stattet sie mit seinen Charakterzügen aus, leiht ihnen Tatsachen aus seinem eigenen Leben, um sie dann zu verlassen, und sich erneut in den Protagonisten der literarischen Welt zu verwandeln, der in seinem nächsten Roman, Drama, seiner nächsten Erzählung eine ähnliche Volte schlagen wird.

Marek Kalita ist allein auf der Bühne und muss eine Stunde lang die Zuschauer fesseln, indem er eine unkonventionelle Aufgabe zu erledigen hat. Das Publikum glaubt nämlich am Anfang, einige Romanausschnitte zu hören, während vor seinen Augen der Schauspieler die Spielregel ändert und Schritt für Schritt eine Illusion erschafft. Kalita liest, spricht, redet, trägt vor, spielt anfangs etwas kühl, bis er schließlich in die Prosa von Bernhard hineingezogen wird. Der Schauspieler gibt alles, und wird von den Zuschauern davon belohnt, die abwechselnd seine Worte schweigend aufnehmen oder sich kaputt lachen. Und ich vermute, wäre Bernhard unter ihnen, würde es ihm ähnlich ergehen.


"TEATR" (mon. Theaterzeitschrift, Warschau) Nr. 9 (September) / 2001
"Przepis na Bernharda"
Malwina Glowacka
betreff. szenische Lesung aus Thomas Bernhards Prosa.
Übersetzung, Auswahl, Regie: Marek Kedzierski, Produktion: Stowarzyszenie Teatr Atelier.
Aufführungsorte: Krakau Teatr Zalezny/Atelier,
Warschau Teatr Rozmaitosci 27.04., 11-12.12 2001